Sonntag, 11. Oktober 2015

*Buch-Sonntag* 2. Kapitel: PPP - Pussy Party Place


    2. Kapitel: PPP - Pussy Party Place

Mit Sack und Pack marschieren wir über den Campingplatz und suchen uns eine passende Stelle, welche gar nicht so leicht zu finden ist. Wir haben noch nicht alle Sachen dabei, gleich müssen wir noch mal zum Auto zurück. Das ganze Zeug können wir gar nicht mit einem Mal tragen.
„Da!“, ruft Nici plötzlich und zeigt auf eine Stelle, ganz in der Nähe von den Sanitäranlagen. „Da müssten wir hinpassen, schnell!“
Wir laufen schneller, damit unser entdeckter Platz auch unserer bleibt. Im Slalom flitzen wir um ein paar Zelte herum und erreichen schließlich den anvisierten Platz. Ein kurzer Check der Größe, und schon lassen wir unsere Sachen auf den Boden plumpsen.
Diese Stelle scheint perfekt, zwar sind wir von anderen Zelten umringt, aber das bleibt hier nirgends aus, es sei denn, man zeltet am Wegrand. Und das Beste an diesem Platz ist, dass die Sanitäranlagen ganz in der Nähe sind.
Ich weiß nicht wie viele es davon auf den ganzen Campingplätzen gibt, ich glaube, nur eine pro Platz. Und da die Plätze riesig sind, gibt es an den anderen Stellen Dixi Klos, auf die ich allerdings nur total ungern gehe. Verständlich. Zwar kostet ein Toilettengang in den Sanitäranlagen 50 Cent, aber die sind es definitiv Wert. Außerdem kann man sich dort auch waschen, Wasser holen und für 2,50€ duschen.
Wenn man duschen will, sollte man das so früh am Morgen wie möglich tun, denn wenn man zu spät kommt könnte es passieren, dass das ganze warme Wasser verbraucht ist. Diese Erfahrung musste ich leider vor zwei Jahren schon machen.
„So, und jetzt? Ich glaube, du musst hier bei den Sachen bleiben, während ich die anderen Sachen aus dem Auto hole.“, jammert Nici und verzieht die Schnute, weil wir noch jede Menge Sachen im Auto haben, und sie diese bestimmt nicht ganz allein tragen kann. Grübelnd lege ich die Stirn in Falten und überlege, wie wir dieses Problem lösen können, bis mein Blick auf unsere Zeltnachbarn fällt und mir eine Idee kommt.
„Oder wir fragen die Jungs da, ob sie kurz ein Blick auf unsere Sachen werfen könnten.“, schlage ich vor und stapfe schon zu ihnen rüber, um sie anzusprechen.
Zwei Jungs, der eine Blond, tätowiert, im Muskelshirt und Jeans, drei Tage Bart, großer Sonnenbrille, und mehreren Piercings im Gesicht. Snakebites und Septum, soweit ich erkennen kann. Der andere in Hip Hop Klamotten, kurzen braunen Haaren und ebenfalls mit Sonnenbrille. Nett sehen sie jedenfalls aus, also setzte ich meine Idee in die Tat um.
„Hey.“, begrüße ich sie ohne Scheu, und schon habe ich ihre Aufmerksamkeit auf mich gezogen. Sie sitzen auf Campingstühlen vor ihren Zelten, mit einem Radio vor ihnen, welches ein Lied von System Of A Down dudelt. Als sie mich ebenfalls begrüßen, spreche ich weiter: „Könntet ihr vielleicht kurz einen Blick auf unsere Sachen werfen? Wir müssen nur nochmal schnell zum Auto.“
„Klar, kein Problem.“, antwortet mir der Blonde, dem ich ein dankendes Lächeln zuwerfe. Geht doch, die Leute hier sind einfach super!
Zufrieden drehe ich mich zu Nici um und fordere sie auf, mit mir die restlichen Sachen zu holen.

„Boah, ist das voll hier.“, stöhnt meine Freundin, als wir die zweite Ladung zu unserem Zeltplatz schleppen.
„Klar, was hast du denn erwartet?“, lache ich, schließlich ist diese Veranstaltung riesig und erwartet bis zu 85.000 Besucher. Schon jetzt, obwohl es gerade mal 11 Uhr ist, herrscht hier Partystimmung pur. Von allen möglichen Campern dröhnt laute Musik aus Radios, mitgebrachten Anlagen und sonstigen Geräten. Einigen Leuten sieht man an, dass sie jetzt schon ordentlich einen im Tee haben. Kein Wunder, Alkohol fließt hier zu genüge, eigentlich ist ein Musikfestival nicht mehr, als eine riesengroße Party. Aber gerade das gefällt mir so daran. Hier kann man die Sau rauslassen, ohne hinterher die Peinlichkeit erklären zu müssen und ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Was bei Rock am Ring passiert, bleibt auch bei Rock am Ring.
Das beste Beispiel läuft uns gerade über den Weg: Ein Mann im Tutu. Verdutzt schaut Nici dem Typen hinterher, bevor sie mich mit einem breiten Grinsen anschaut.
„Keine Sorge, du wirst hier noch einige komische Gestalten sehen und kennen lernen, versprochen.“, erkläre ich ihr, da bin ich mir sicher, denn Hemmungen gibt es hier nur wenig.
Ein paar Meter weiter sitzen ein paar Jungs und Mädels mit ihren Campingstühlen am Wegrand und bewerten die vorbeigehenden Leute, indem sie Schilder mit Zahlen in die Luft halten. Als Nici und ich an ihnen vorbei gehen, bekommen wir eine glatte 10, für die wir uns lachend bedanken. Außerdem kommen wir an ein riesiges, grünes Zelt vorbei, auf dessen Spitze ein rotes Alarmlicht leuchtet und laut Heavy Metal aus dem inneren dröhnt. An der Frontseite des Zeltes hängt ein großes Schild, mit der Aufschrift „Terrorcamper“, was mich auf eine Idee bringt. Unser Zeltpavillon braucht auch einen Namen, und ich habe soeben den perfekten gefunden.
„Eeey Nici, du hast doch verschiedenfarbige Eddings dabei, oder?“
Erwartungsvoll wende ich den Blick zu meiner Freundin, welche mich mit hochgezogenen Augenbrauen irritiert anschaut. Sie weiß noch nicht so ganz, was ich von ihr will.
„Äh… Ja, müsste ich dabei haben, wieso fragst du?“
Das „du“ zieht sie bei ihrer Frage in die Höhe, was mich schmunzeln lässt. Mit ihrer hellen Stimme hört sich das total süß an.
Ich erkläre ihr meine Idee, dass wir auf drei Außenwände unseres Pavillons jeweils ein P und auf der vierten Wand „Pussy Party Place“ schreiben, von welcher sie total begeistert ist.

Endlich wieder an unserem Zeltplatz angekommen, lassen wir auch unsere restlichen Sachen zu Boden fallen und bedankten uns herzlich bei den Jungs, die tatsächlich alles für uns freigehalten haben. Als kleines Dankeschön drücke ich beiden ein Bier in die Hand, und öffne auch für Nici uns mich eins.
„Ich bin übrigens Lindsay und das ist meine beste Freundin Nicole. Oder Lin und Nici, hört sich schöner an.“, stelle ich uns den Jungs vor, nachdem wir mit ihnen angestoßen, und uns vor ihnen auf zwei unserer Klappstühle gesetzt haben. Man soll sich ja mit seinen Zeltnachbarn gut heißen, also kann man sich ja kennen lernen.
„Ich bin Jack und das…“, stellt der Hopper sich vor und nickt daraufhin zu seiner Begleitung rüber. „…ist mein Bruder Ian.“
Der Blonde grinst, irgendwie erinnert er mich an… Ach, wie heißt der noch gleich… Jared Leto?
„Und wer ist der ältere?“, erkundigt Nici sich und nimmt einen Schluck von ihrem Bier. Das interessiert mich allerdings auch, deswegen schaue ich die Brüder erwartungsvoll an. Ich glaube, der Hopper ist der ältere, zumindest sieht er maskuliner aus. Obwohl, ich weiß nicht, manchmal trügt der Schein.
„Jack ist zwölf Minuten älter als ich. Wir sind eineiige Zwillinge.“, antwortet der Blonde grinsend, woraufhin meine Freundin sich an ihrem Bier verschluckt. Hastig klopfe ich ihr auf den Rücken, obwohl ich mindestens genauso entsetzt bin, wie sie. Dass die zwei eineiige Zwillinge sind, hätte ich nie im Leben vermutet, sie sehen sich zwar ähnlich, dass man auf Brüder schließen kann, aber Zwillinge?! Holla die Waldfee, jetzt bin ich echt baff.
„Jetzt ohne Scheiß?“, schluckst meine Freundin, als sie sich von ihrem Hustanfall beruhigt hat. Krampfhaft versuche ich, die beiden miteinander zu vergleichen, doch als sie anfangen zu lachen (und weil sie uns drauf aufmerksam gemacht haben), erkenne ich die Ähnlichkeit der beiden. Exakt die gleichen Gesichtszüge, trotz Sonnenbrille. Unglaublich…
„Ich weiß, sieht man uns nicht auf den ersten Blick an.“, erklärt Jack, immer noch lachend. „Aber würde man uns die Haare abrasieren und uns nackt nebeneinander stellen, wären wir identisch.“
„Zeigen, bitte!“, scherze ich und zwinkere, was die beiden gleich erneut zum Lachen bringt, Nici inklusive.
„Ja komm, wir gehen ins Zelt.“, zwinkert der Hopper zurück und erhebt sich spaßeshalber aus seinem Campingstuhl. Die Zwei sind mir vom ersten Eindruck her echt sympathisch.
„Nee, wenn dann beide, sonst kann ich ja keinen Vergleich stellen.“, grinse ich schelmisch.

Nachdem wir uns ein paar weitere Minuten mit den Jungs unterhalten haben, erfahren wir, dass sie alleine hier sind, ebenfalls vierundzwanzig, aus Hamburg kommen, hobbymäßig in einer Band spielen und Single sind. Außerdem studiert Ian irgendwas mit Mode und Jack irgendwas mit Musik. Wir verraten ihnen im Gegenzug dieselben Informationen über uns, dass wir beide Friseurinnen sind und bald die Meisterschule besuchen werden. Ja, das hatten wir wirklich vor, es fehlt nicht mehr viel Geld dazu. Wäre es nicht so teuer, hätten wir schon längst unseren Meistertitel, aber 10.000€ sind nun mal für unsere Verhältnisse eine ganze Menge. Unser größter Wunsch ist es, in naher Zukunft, zusammen einen Salon zu eröffnen, das haben wir uns fest vorgenommen. Ich bin mir sicher, dass wir das schaffen.

Die Zwillinge schlagen sich freiwillig dazu bereit, uns beim Zeltaufbau zu helfen. Während die Zwei sich um unser Zelt kümmern, versuchen Nici und ich uns an den Aufbau unseres Pavillons. Bevor wir anfangen, setzen wir meine Idee von vorhin in die Tat um, und malen künstlerisch mit verschiedenen Farben die drei P und „Pussy Party Place“ auf die Außenwände. Stolz betrachten wir unser gelungenes Werk, bevor wir schließlich versuchen, nach beigelegter Anleitung, das Ding zusammenzubauen, was sich gar nicht als so einfach herausstellt.
Verzweifelt kniet Nici auf dem Boden vor der Anleitung und begutachtet diese, als wäre sie in einer anderen Sprache geschrieben, die sie erst einmal übersetzen müsse. Ein Blick zu den Zwillingen verrät mir, dass sie mit unserem Zelt schon so gut wie fertig sind, bevor wir überhaupt richtig angefangen haben.
„Stecken Sie Teil A auf Teil B, befestigen Sie dieses mit Teil C und ziehen Sie anschließend Teil D darüber…“, nuschelt meine Freundin vor sich hin und stößt anschließend ein verzweifeltes „Häää?“ aus. Sie hält zwei Stäbe in ihren Händen, welche sie abwechselnd fragend anschaut.
„Das kann doch nicht sein, welches ist denn jetzt Teil A? Die sehen beide gleich aus!“
„Soll ich mal gucken? Vielleicht werde ich aus der Anleitung ein bisschen schlauer.“, schlage ich ihr vor, woraufhin sie mir sofort die Stäbe entgegenstreckt.
Gut, mit den Stäben allein kann ich nicht viel anfangen, also knie ich mich neben sie und schaue mir die Anleitung an. Sofort bilden sich drei riesige Fragezeichen über meinem Kopf. Vielleicht hätten die Macher mal eine Anleitung für Dummies dazulegen sollen.
Der jüngere Zwilling muss unsere Verzweiflung bemerkt, oder die drei Fragezeichen über meinem Kopf gesehen haben, denn obwohl unser Zelt noch nicht ganz aufgebaut ist, lässt er seinen Bruder damit alleine und kommt zu uns rüber um uns zu fragen, ob wir Hilfe benötigen. Ja, natürlich brauchen wir die, will das aber nicht so direkt sagen.
„Aber nur, wenn es dir keine Umstände macht, schließlich helft ihr uns schon genug mit dem Zelt.“
„Ach quatsch, zeigt mal her.“, lächelt er und streckt die Hand nach der Anleitung aus, welche Nici ihm sofort überreicht. Es dauert nur ein paar Sekunden, in dem er seine Augen über das Papier gleiten lässt, bis er nach den Stäben greift und sie richtig zusammensetzt. Wow, ich bin beeindruckt.
„Lin, hast du das gesehen? Er spricht Anleitung!“, staunt meine Freundin und beobachtet Ian dabei, wie er gekonnt ein Teil auf das andere Steckt. Er muss nicht einmal mehr einen Blick auf die Anleitung werfen, weswegen ich mich kurz frage, ob er vielleicht ein photographisches Gedächtnis hat.
„Ja, eine Sprache, die wir nicht beherrschen.“, lache ich und fange an, das Papier von den Verpackungen in den Müllsack zu stopfen, welchen wir beim Betreten des Campingplatzes bekommen haben. Wenn wir den Sack am Ende des Festivals voll zurückgeben, bekommen wir dafür 5€ vom Ticketpreis zurück. Pro Person gibt es einen Müllsack.
„Das ist gar nicht so schwer wie es aussieht, man muss nur wissen wie‘s hinterher aussehen soll, der Rest geht praktisch von allein.“, erklärt der Blonde, worüber ich innerlich grinsen muss. Wenn es so einfach wäre, hätten Nici und ich das auch selbst hinbekommen. Egal, immerhin ist das Teil so gleich aufgebaut.

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