6.
Kapitel: Das Foto
Während
des Frühstücks hören wir natürlich wieder Musik. Die Klänge von
„An Tagen wie diesen“ von den Toten Hosen schmeicheln meine
Ohren, was die Vorfreude auf später, der Start des Festivals, ins
Unermessliche steigen lässt. Ohne Scheiß, ich kann‘s nicht mehr
abwarten, ich bin so aufgeregt! Ich bin zwar auch gerne auf dem
Campingplatz, jedoch ist das nochmal was ganz anderes, als auf dem
Gelände selbst.
„Also,
die erste Band, die wir uns anschauen wollen, spielt um 15 Uhr auf
der Alternastage.“, teilt Nici den Zwillingen mit, während sie den
Spielplan, welcher vor ihr auf dem Tisch liegt, durchgeht. Wir müssen
ja jetzt irgendwie neu planen wenn wir zu viert gehen, schließlich
konnte man sich vorher schlecht absprechen.
„Shinedown?“,
fragt Ian, welcher ebenfalls mit seinem Zwilling in seinen eigenen
Spielplan schaut. „Also die können wir gerne zusammen schauen, das
ist ganz praktisch, direkt danach spielen die Guano Apes auf der
Alternastage, die wollen wir auch sehen.“
Meine
Freundin und ich nicken, nachdem wir geprüft haben, ob eine andere
Band die wir sehen wollen, zur gleichen Zeit spielt. Da dies nicht
der Fall ist, wird das kein Problem sein. Ich kenne zwar nur zwei
oder drei Lieder von den Guano Apes, aber was soll‘s. Ich bin offen
für alles, solange es sich dabei um gute Rockmusik handelt.
„Eine
Stunde später spielt Sevendust, schauen wir die auch zusammen?“,
will ich wissen und schaue erwartungsvoll die Zwillinge an. Mit dem
Zeigefinger gleitet Ian über seinen Spielplan, wirft einen kurzen
Blick zu seinem Bruder, welcher nickt, und antwortet dann: „Jap,
auf jeden Fall.“
Freudig
grinse ich den Blonden an. Das ist super, weil Sevendust ist eine der
Bands, auf die ich mich sehr freue.
Er
grinst zurück, wobei mir wieder auffällt, was für schöne braune
Augen er eigentlich hat. Sie passen perfekt zu seinem hübschen,
gepiercten Gesicht. Außerdem weiß er genau, wie er seinen
schlanken, trainierten Körper in Szene setzt. Durch sein enges,
schwarzes T-Shirt kommen seine muskulösen Arme gut zur Geltung. Wenn
mich nicht alles täuscht, drückt sich ein Brustwarzenpiercing durch
sein Shirt. Gott, wie sexy. Ich muss wohl oder übel zugeben, dass er
in mein Beuteschema passt, ich steh voll auf „ausgefallene“
Männer, mit Piercings und Tattoos.
Als
ich merke, dass ich ihn gerade länger als gewollt anstarre, schaue
ich schnell wieder auf den Spielplan und versuche mir nicht anmerken
zu lassen, dass ich vor Scham leicht rot anlaufe. Allerdings
beobachte ich aus dem Augenwinkel heraus, dass der Blonde sein Blick
noch einen Moment auf mir ruhen lässt, bevor er ebenfalls wieder im
Spielplan versinkt.
Nach
dem Frühstück haben wir schließlich für heute alles soweit
besprochen. Glücklicherweise spielen alle Bands die wir anschauen
wollen in einer optimalen Reihenfolge, so dass wir uns nicht trennen
müssen. Morgen sieht’s jedoch ein bisschen anders aus, aber wie
wir das genau machen werden besprechen wir, wenn es soweit ist. Jetzt
ist erst mal freuen auf heute angesagt.
Um
die Zeit ein wenig zu überbrücken, schnappen wir uns jeder einen
Stuhl und ein Bier, und setzen uns zu viert an den Wegrand, um die
vorbeiziehenden Menschen zu beobachten. Mittlerweile scheint der
ganze Campingplatz wach zu sein, zumindest ist es jetzt um einiges
lebhafter als vorhin. Eine kleine Gruppe Jungs mit Bierhelmen (das
sind so komische Helme, an denen links und rechts jeweils eine
Bierdose befestigt ist, aus welchen jeweils ein Schlauch zum Mund
führt) zieht gut gelaunt an uns vorbei und grölen uns irgendwelche
unverständlichen Sachen zu, woraufhin wir einfach ein „Öööööh!“
zurück grölen. Wahrscheinlich sind die schon jetzt zu blau, um
sinnvolle Sätze von sich zu geben.
„Ich
versteh nicht, wie man sich so früh schon so volllaufen lassen
kann.“
Nici
schüttelt mit dem Kopf, ehe sie zu mir rüber sieht und auf meine
Meinung wartet.
Naja,
was soll ich dazu sagen? Im Großen und Ganzen ist es ja deren Sache,
solange sie keine fremden Leute belästigen. Also zucke ich nur mit
den Schultern.
„Was
zum… Schleppen die da hinten einen Tannenbaum durch die Gegend?!“,
kommt es plötzlich völlig verdutzt von Jack, dessen Blick nach
links in die Ferne gerichtet ist. Sofort lehnen wir uns alle ein
Stück nach vorn, um seinen Blick zu folgen, und tatsächlich… Da
kommen wirklich zwei Typen mit einem Tannenbaum auf uns zu! Je näher
sie kommen, umso deutlicher wird, dass der Tannenbaum voll mit
Bierdosen besteckt ist, was uns vier zum Lachen bringt.
„Wie
geil ist das denn?!“, lacht Ian laut, als die Typen an uns vorbei
laufen und nach Bierdosenspenden bitten. So eine Bitte kann ich nicht
abschlagen, also trinke ich schnell den letzten Rest meines Bieres
und stürme zu den Jungs rüber, um meine leere Dose an den Bierbaum
zu stecken. Auch zwei andere Mädels stecken Zeitgleich mit mir ihre
Dosen an den Baum, woraufhin die zwei Typen sich herzlichst bei uns
bedanken.
„Gepriesen
seist du, oh heiliger Bierbaum, und die Früchte, die du trägst!“,
bete ich lachend den Tannenbaum an und verbeuge mich spaßeshalber.
Hastig
winke ich meinem Anhang zu, diese sollen gefälligst auch eine
Bierdosen-Spende geben, so eine geniale Idee muss man schließlich
unterstützen!
„Kommt
schon, der Baum braucht noch ein paar Dosen!“, rufe ich, allerdings
erhebt sich nur Ian, der anscheinend als einziger sein Bier leer
getrunken hat.
Als
er vor mir steht, drückt er mir seine Dose in die Hand, welche ich
dankend annehme. Kurz bemustere ich den Baum und suche nach einer
freien Stelle, wobei mir auffällt, dass die Spitze noch ungeschmückt
ist.
„Darf
ich die Spitze setzen?“, frage ich die zwei Typen, schließlich
weiß ich ja nicht, ob die Spitze noch absichtlich frei ist.
„Klar!“,
gibt mir der Baumträger sein Einverständnis und stellt den Baum auf
den Boden, damit ich besser an die Spitze komme. Ich stelle mich auf
die Zehenspitzen und strecke meinen Arm so weit wie möglich nach
oben, aber Pustekuchen, ich bin zu klein, oder dieser blöde Baum
einfach zu groß.
Als
Ian meinen verzweifelten an-die-Spitze-komm-Versuch beobachtet, tippt
er mir auf die Schulter, woraufhin ich mich umdrehe.
„Soll
ich dir helfen?“, fragt er mich grinsend, anscheinend findet er das
belustigend, wie ich mich krampfhaft zur Spitze recke. Trotzdem kann
ich seine Hilfe gut gebrauchen. Da er im Gegensatz zu mir ein Riese
ist, kann er mich gut hochheben, damit wäre mein Problem gelöst.
„Ja,
heb' mich hoch!“
Und
schon habe ich meine Arme um seinen Hals geschlungen, hüpfe hoch,
und schlinge meine Beine um seine schmalen Hüften, ohne auch nur
eine Sekunde darüber nachzudenken, ob er mich überhaupt tragen
kann. Aber ich meine, bei solchen Armen sollte das kein Problem sein.
Schnell
stellt sich heraus, dass mein Fliegengewicht kein Problem darstellt.
Mit beiden Händen hält er mich am Allerwertesten fest und schiebt
mich mit einem Ruck noch ein Stück höher, so, dass ich meine Beine
perfekt auf sein Becken stützen kann. Mit dem Oberkörper drehe ich
mich ein Stück zu Seite, halte mich dabei mit einer Hand an seinem
Hals fest und stecke mit der anderen Hand die Dose auf die Spitze.
Stolz wie Oscar und freudig quietschend wie ein kleines Kind, grinse
ich die zwei Typen an, die mir beide einen Daumen zeigen.
Als
ich mich wieder zu meinem Träger drehe und meine Arme locker auf
seine Schultern lege, erwidert dieser mein Grinsen so verdammt süß,
dass ich ihn einfach einmal fest an mich drücken muss, bevor er mich
schließlich wieder runter lässt. Er riecht gut, musste ich gerade
mal so nebenbei feststellen.
Die
Jungs bedanken sich nochmal bei uns, dann machen wir wieder kehrt zu
Jack und Nici. Kichernd beugen sich beide über das Handy meiner
Freundin, natürlich bin ich neugierig und möchte wissen, was denn
so witzig zu sein scheint, beuge mich also ebenfalls zum Handy rüber,
doch Nici zieht mir dieses vor der Nase weg.
„Oh
Gott, das ist so süß!“, quiekt sie und presst sich das Handy
geheimnistuerisch an die Brust. Skeptisch ziehe ich eine Augenbraue
nach oben. Wenn das, was sie sich da angeschaut haben so süß ist,
wieso darf ich es dann nicht sehen?
„Ja,
dann zeig doch mal her!“, fordere ich sie auf, doch sie schüttelt
mit dem Kopf.
„Nöö,
jetzt nicht.“
Grinsend
sieht sie zu Jack rüber, welcher seinen Blick jetzt zwischen mir und
seinem Bruder wechselt. Langsam hab ich das Gefühl, dass das, was
sie sich da angesehen haben, irgendwas mit Ian und mir zu tun hat,
was mich umso neugieriger macht.
„Ihr
zwei würdet optisch voll gut zusammen passen.“, grinst der Hopper
schelmisch, woraufhin ein verdutztes „Was??“ von dem Blonden und
mir gleichzeitig kommt, welches Nici und Jack in schallendes
Gelächter ausbrechen lässt. Unfassbar die zwei, ehrlich!
„Aber
wir kennen uns doch noch gar nicht richtig!“, versuche ich uns zu
verteidigen, was ja auch stimmt. Jack beugt sich, immer noch lachend,
zu mir rüber.
„Deswegen
sagte ich ja optisch, außerdem kann man das ja auch ändern.“
Hilfesuchend
schaue ich zu Ian rüber, welcher belächelnd die Augen verdreht.
Komm schon, sag was dazu!
„Jack,
ganz ehrlich, ich brauche niemanden der mich verkuppelt, das schaffe
ich auch noch allein.“
„Ja,
dann schmeiß dich doch mal ran da!“
Mit
dem Kopf deutet der Hopper in meine Richtung, was mir ungewollt die
Schamröte ins Gesicht treibt. Ich meine, ja, Ian ist verdammt
hübsch, aber wie ich bereits sagte, wir kennen uns doch noch gar
nicht wirklich.
„Hier,
guck.“, kommt es jetzt von Nici, welche mir plötzlich doch ihr
Handy unter die Nase hält. „Ihr zwei würdet wirklich gut zusammen
passen.“
Sofort
nehme ich ihr das Handy aus der Hand und begutachte das Bild, welches
auf dem Display angezeigt wird. Auch der Blonde beugt sich jetzt
neugierig zu mir rüber. Ich halte das Handy so, dass er auch was
sehen kann und erst als ich realisiere, was genau das auf dem Foto
ist, laufe ich endgültig rot wie eine überreife Tomate an. Die
blöde Kuh hat tatsächlich ein Foto davon gemacht, wie ich auf Ians
Armen hänge und wir uns wie die bekloppten angrinsen. Das gibt’s
doch nicht!
Reflexartig
ziehe ich das Handy aus dem Blickfeld des Blonden, in der Hoffnung,
er hat nicht so schnell wie ich gecheckt, was das für ein Foto ist,
und starre fassungslos zu meiner Freundin.
„Gott,
wie peinlich, lösch das!“, fordere ich sie auf, doch sie nimmt mir
nur das Handy aus der Hand und schüttelt mit dem Kopf.
„Nein,
vergiss es, das ist voll süß!“
Nein,
ist es nicht, das ist PEINLICH! Da ich aber genau weiß, dass sie das
Foto nicht löschen wird, egal wie sehr ich sie darum bitte, belasse
ich es einfach dabei und versuche so zu tun, als wären die
Blödmänner mit dem Tannenbaum niemals vorbei gekommen.
Ich
will nicht so perfekt sein
Das passt gut in mein Konzept rein
Ist mir egal,
Das passt gut in mein Konzept rein
Ist mir egal,
dass
ich nur halbromantisch bin
Killerpilze
- Halbromantisch
So,
gleich ist es endlich soweit, gleich geht’s los zum Gelände. Mein
Herz rast vor Aufregung wie verrückt, mein Bauch kribbelt, meine
Hände schwitzen. Am liebsten würde ich jetzt einfach nur einmal
laut schreien, das Dauergrinsen bekomme ich schon gar nicht mehr aus
dem Gesicht. Schnell kontrolliere ich noch einmal meine Tasche, wenn
ich etwas vergessen würde, wäre das eine mittelschwere Katastrophe.
Aber soweit hab ich alles:
Einen
Liter Eistee im Tetrapack, mehr ist nämlich nicht erlaubt, genau so
wenig wie ein anderes Behältnis oder Alkohol.
Ein
Handtuch um sich auf den Boden zu setzen, da es dort keine anderen
Sitzgelegenheiten gibt.
Desinfektionstücher
und Gel, damit die Dixiklos auf dem Gelände erträglich werden. Es
gibt zwar auch Sanitäranlagen, aber die sind meist überfüllt.
Taschentücher
sind natürlich ganz, ganz wichtig!
Mädchenkram,
den muss man immer dabei haben.
Und
Wertgegenstände, wie Handy, Portemonnaie etc., die müssen sowieso
mit.
Gut,
ich hab alles, auch die anderen müssten soweit ihre Taschen gepackt
haben. Bevor ich allerdings voreilige Schlüsse ziehe, frage ich
nochmal nach.
„Habt
ihr alles? Können wir los?“
„Jap,
auf geht’s!“, antwortet mir Jack, nachdem jeder noch einmal einen
kontrollierenden Blick in seine Tasche geworfen, und sein okay
gegeben hat. Endlich! Freudig hüpfe ich voraus, auf geht‘s zu den
Shuttlebussen.
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