Sonntag, 8. November 2015

*Buch-Sonntag* 6. Kapitel: Das Foto

    6. Kapitel: Das Foto

Während des Frühstücks hören wir natürlich wieder Musik. Die Klänge von „An Tagen wie diesen“ von den Toten Hosen schmeicheln meine Ohren, was die Vorfreude auf später, der Start des Festivals, ins Unermessliche steigen lässt. Ohne Scheiß, ich kann‘s nicht mehr abwarten, ich bin so aufgeregt! Ich bin zwar auch gerne auf dem Campingplatz, jedoch ist das nochmal was ganz anderes, als auf dem Gelände selbst.
„Also, die erste Band, die wir uns anschauen wollen, spielt um 15 Uhr auf der Alternastage.“, teilt Nici den Zwillingen mit, während sie den Spielplan, welcher vor ihr auf dem Tisch liegt, durchgeht. Wir müssen ja jetzt irgendwie neu planen wenn wir zu viert gehen, schließlich konnte man sich vorher schlecht absprechen.
„Shinedown?“, fragt Ian, welcher ebenfalls mit seinem Zwilling in seinen eigenen Spielplan schaut. „Also die können wir gerne zusammen schauen, das ist ganz praktisch, direkt danach spielen die Guano Apes auf der Alternastage, die wollen wir auch sehen.“
Meine Freundin und ich nicken, nachdem wir geprüft haben, ob eine andere Band die wir sehen wollen, zur gleichen Zeit spielt. Da dies nicht der Fall ist, wird das kein Problem sein. Ich kenne zwar nur zwei oder drei Lieder von den Guano Apes, aber was soll‘s. Ich bin offen für alles, solange es sich dabei um gute Rockmusik handelt.
„Eine Stunde später spielt Sevendust, schauen wir die auch zusammen?“, will ich wissen und schaue erwartungsvoll die Zwillinge an. Mit dem Zeigefinger gleitet Ian über seinen Spielplan, wirft einen kurzen Blick zu seinem Bruder, welcher nickt, und antwortet dann: „Jap, auf jeden Fall.“
Freudig grinse ich den Blonden an. Das ist super, weil Sevendust ist eine der Bands, auf die ich mich sehr freue.
Er grinst zurück, wobei mir wieder auffällt, was für schöne braune Augen er eigentlich hat. Sie passen perfekt zu seinem hübschen, gepiercten Gesicht. Außerdem weiß er genau, wie er seinen schlanken, trainierten Körper in Szene setzt. Durch sein enges, schwarzes T-Shirt kommen seine muskulösen Arme gut zur Geltung. Wenn mich nicht alles täuscht, drückt sich ein Brustwarzenpiercing durch sein Shirt. Gott, wie sexy. Ich muss wohl oder übel zugeben, dass er in mein Beuteschema passt, ich steh voll auf „ausgefallene“ Männer, mit Piercings und Tattoos.
Als ich merke, dass ich ihn gerade länger als gewollt anstarre, schaue ich schnell wieder auf den Spielplan und versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass ich vor Scham leicht rot anlaufe. Allerdings beobachte ich aus dem Augenwinkel heraus, dass der Blonde sein Blick noch einen Moment auf mir ruhen lässt, bevor er ebenfalls wieder im Spielplan versinkt.

Nach dem Frühstück haben wir schließlich für heute alles soweit besprochen. Glücklicherweise spielen alle Bands die wir anschauen wollen in einer optimalen Reihenfolge, so dass wir uns nicht trennen müssen. Morgen sieht’s jedoch ein bisschen anders aus, aber wie wir das genau machen werden besprechen wir, wenn es soweit ist. Jetzt ist erst mal freuen auf heute angesagt.
Um die Zeit ein wenig zu überbrücken, schnappen wir uns jeder einen Stuhl und ein Bier, und setzen uns zu viert an den Wegrand, um die vorbeiziehenden Menschen zu beobachten. Mittlerweile scheint der ganze Campingplatz wach zu sein, zumindest ist es jetzt um einiges lebhafter als vorhin. Eine kleine Gruppe Jungs mit Bierhelmen (das sind so komische Helme, an denen links und rechts jeweils eine Bierdose befestigt ist, aus welchen jeweils ein Schlauch zum Mund führt) zieht gut gelaunt an uns vorbei und grölen uns irgendwelche unverständlichen Sachen zu, woraufhin wir einfach ein „Öööööh!“ zurück grölen. Wahrscheinlich sind die schon jetzt zu blau, um sinnvolle Sätze von sich zu geben.
„Ich versteh nicht, wie man sich so früh schon so volllaufen lassen kann.“
Nici schüttelt mit dem Kopf, ehe sie zu mir rüber sieht und auf meine Meinung wartet.
Naja, was soll ich dazu sagen? Im Großen und Ganzen ist es ja deren Sache, solange sie keine fremden Leute belästigen. Also zucke ich nur mit den Schultern.
„Was zum… Schleppen die da hinten einen Tannenbaum durch die Gegend?!“, kommt es plötzlich völlig verdutzt von Jack, dessen Blick nach links in die Ferne gerichtet ist. Sofort lehnen wir uns alle ein Stück nach vorn, um seinen Blick zu folgen, und tatsächlich… Da kommen wirklich zwei Typen mit einem Tannenbaum auf uns zu! Je näher sie kommen, umso deutlicher wird, dass der Tannenbaum voll mit Bierdosen besteckt ist, was uns vier zum Lachen bringt.
„Wie geil ist das denn?!“, lacht Ian laut, als die Typen an uns vorbei laufen und nach Bierdosenspenden bitten. So eine Bitte kann ich nicht abschlagen, also trinke ich schnell den letzten Rest meines Bieres und stürme zu den Jungs rüber, um meine leere Dose an den Bierbaum zu stecken. Auch zwei andere Mädels stecken Zeitgleich mit mir ihre Dosen an den Baum, woraufhin die zwei Typen sich herzlichst bei uns bedanken.
„Gepriesen seist du, oh heiliger Bierbaum, und die Früchte, die du trägst!“, bete ich lachend den Tannenbaum an und verbeuge mich spaßeshalber.
Hastig winke ich meinem Anhang zu, diese sollen gefälligst auch eine Bierdosen-Spende geben, so eine geniale Idee muss man schließlich unterstützen!
„Kommt schon, der Baum braucht noch ein paar Dosen!“, rufe ich, allerdings erhebt sich nur Ian, der anscheinend als einziger sein Bier leer getrunken hat.
Als er vor mir steht, drückt er mir seine Dose in die Hand, welche ich dankend annehme. Kurz bemustere ich den Baum und suche nach einer freien Stelle, wobei mir auffällt, dass die Spitze noch ungeschmückt ist.
„Darf ich die Spitze setzen?“, frage ich die zwei Typen, schließlich weiß ich ja nicht, ob die Spitze noch absichtlich frei ist.
„Klar!“, gibt mir der Baumträger sein Einverständnis und stellt den Baum auf den Boden, damit ich besser an die Spitze komme. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und strecke meinen Arm so weit wie möglich nach oben, aber Pustekuchen, ich bin zu klein, oder dieser blöde Baum einfach zu groß.
Als Ian meinen verzweifelten an-die-Spitze-komm-Versuch beobachtet, tippt er mir auf die Schulter, woraufhin ich mich umdrehe.
„Soll ich dir helfen?“, fragt er mich grinsend, anscheinend findet er das belustigend, wie ich mich krampfhaft zur Spitze recke. Trotzdem kann ich seine Hilfe gut gebrauchen. Da er im Gegensatz zu mir ein Riese ist, kann er mich gut hochheben, damit wäre mein Problem gelöst.
„Ja, heb' mich hoch!“
Und schon habe ich meine Arme um seinen Hals geschlungen, hüpfe hoch, und schlinge meine Beine um seine schmalen Hüften, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, ob er mich überhaupt tragen kann. Aber ich meine, bei solchen Armen sollte das kein Problem sein.
Schnell stellt sich heraus, dass mein Fliegengewicht kein Problem darstellt. Mit beiden Händen hält er mich am Allerwertesten fest und schiebt mich mit einem Ruck noch ein Stück höher, so, dass ich meine Beine perfekt auf sein Becken stützen kann. Mit dem Oberkörper drehe ich mich ein Stück zu Seite, halte mich dabei mit einer Hand an seinem Hals fest und stecke mit der anderen Hand die Dose auf die Spitze. Stolz wie Oscar und freudig quietschend wie ein kleines Kind, grinse ich die zwei Typen an, die mir beide einen Daumen zeigen.
Als ich mich wieder zu meinem Träger drehe und meine Arme locker auf seine Schultern lege, erwidert dieser mein Grinsen so verdammt süß, dass ich ihn einfach einmal fest an mich drücken muss, bevor er mich schließlich wieder runter lässt. Er riecht gut, musste ich gerade mal so nebenbei feststellen.

Die Jungs bedanken sich nochmal bei uns, dann machen wir wieder kehrt zu Jack und Nici. Kichernd beugen sich beide über das Handy meiner Freundin, natürlich bin ich neugierig und möchte wissen, was denn so witzig zu sein scheint, beuge mich also ebenfalls zum Handy rüber, doch Nici zieht mir dieses vor der Nase weg.
„Oh Gott, das ist so süß!“, quiekt sie und presst sich das Handy geheimnistuerisch an die Brust. Skeptisch ziehe ich eine Augenbraue nach oben. Wenn das, was sie sich da angeschaut haben so süß ist, wieso darf ich es dann nicht sehen?
„Ja, dann zeig doch mal her!“, fordere ich sie auf, doch sie schüttelt mit dem Kopf.
„Nöö, jetzt nicht.“
Grinsend sieht sie zu Jack rüber, welcher seinen Blick jetzt zwischen mir und seinem Bruder wechselt. Langsam hab ich das Gefühl, dass das, was sie sich da angesehen haben, irgendwas mit Ian und mir zu tun hat, was mich umso neugieriger macht.
„Ihr zwei würdet optisch voll gut zusammen passen.“, grinst der Hopper schelmisch, woraufhin ein verdutztes „Was??“ von dem Blonden und mir gleichzeitig kommt, welches Nici und Jack in schallendes Gelächter ausbrechen lässt. Unfassbar die zwei, ehrlich!
„Aber wir kennen uns doch noch gar nicht richtig!“, versuche ich uns zu verteidigen, was ja auch stimmt. Jack beugt sich, immer noch lachend, zu mir rüber.
„Deswegen sagte ich ja optisch, außerdem kann man das ja auch ändern.“
Hilfesuchend schaue ich zu Ian rüber, welcher belächelnd die Augen verdreht. Komm schon, sag was dazu!
„Jack, ganz ehrlich, ich brauche niemanden der mich verkuppelt, das schaffe ich auch noch allein.“
„Ja, dann schmeiß dich doch mal ran da!“
Mit dem Kopf deutet der Hopper in meine Richtung, was mir ungewollt die Schamröte ins Gesicht treibt. Ich meine, ja, Ian ist verdammt hübsch, aber wie ich bereits sagte, wir kennen uns doch noch gar nicht wirklich.
„Hier, guck.“, kommt es jetzt von Nici, welche mir plötzlich doch ihr Handy unter die Nase hält. „Ihr zwei würdet wirklich gut zusammen passen.“
Sofort nehme ich ihr das Handy aus der Hand und begutachte das Bild, welches auf dem Display angezeigt wird. Auch der Blonde beugt sich jetzt neugierig zu mir rüber. Ich halte das Handy so, dass er auch was sehen kann und erst als ich realisiere, was genau das auf dem Foto ist, laufe ich endgültig rot wie eine überreife Tomate an. Die blöde Kuh hat tatsächlich ein Foto davon gemacht, wie ich auf Ians Armen hänge und wir uns wie die bekloppten angrinsen. Das gibt’s doch nicht!
Reflexartig ziehe ich das Handy aus dem Blickfeld des Blonden, in der Hoffnung, er hat nicht so schnell wie ich gecheckt, was das für ein Foto ist, und starre fassungslos zu meiner Freundin.
„Gott, wie peinlich, lösch das!“, fordere ich sie auf, doch sie nimmt mir nur das Handy aus der Hand und schüttelt mit dem Kopf.
„Nein, vergiss es, das ist voll süß!“
Nein, ist es nicht, das ist PEINLICH! Da ich aber genau weiß, dass sie das Foto nicht löschen wird, egal wie sehr ich sie darum bitte, belasse ich es einfach dabei und versuche so zu tun, als wären die Blödmänner mit dem Tannenbaum niemals vorbei gekommen.

Ich will nicht so perfekt sein
Das passt gut in mein Konzept rein
Ist mir egal,
dass ich nur halbromantisch bin
Killerpilze - Halbromantisch

So, gleich ist es endlich soweit, gleich geht’s los zum Gelände. Mein Herz rast vor Aufregung wie verrückt, mein Bauch kribbelt, meine Hände schwitzen. Am liebsten würde ich jetzt einfach nur einmal laut schreien, das Dauergrinsen bekomme ich schon gar nicht mehr aus dem Gesicht. Schnell kontrolliere ich noch einmal meine Tasche, wenn ich etwas vergessen würde, wäre das eine mittelschwere Katastrophe. Aber soweit hab ich alles:
Einen Liter Eistee im Tetrapack, mehr ist nämlich nicht erlaubt, genau so wenig wie ein anderes Behältnis oder Alkohol.
Ein Handtuch um sich auf den Boden zu setzen, da es dort keine anderen Sitzgelegenheiten gibt.
Desinfektionstücher und Gel, damit die Dixiklos auf dem Gelände erträglich werden. Es gibt zwar auch Sanitäranlagen, aber die sind meist überfüllt.
Taschentücher sind natürlich ganz, ganz wichtig!
Mädchenkram, den muss man immer dabei haben.
Und Wertgegenstände, wie Handy, Portemonnaie etc., die müssen sowieso mit.
Gut, ich hab alles, auch die anderen müssten soweit ihre Taschen gepackt haben. Bevor ich allerdings voreilige Schlüsse ziehe, frage ich nochmal nach.
„Habt ihr alles? Können wir los?“
„Jap, auf geht’s!“, antwortet mir Jack, nachdem jeder noch einmal einen kontrollierenden Blick in seine Tasche geworfen, und sein okay gegeben hat. Endlich! Freudig hüpfe ich voraus, auf geht‘s zu den Shuttlebussen.


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